VDP.Weinbörse 2025 in Mainz: Teil 2 +++ Spätburgunder: Zwischen Kritik und Klasse

Kaum ein Weinthema wird in der deutschen „Weinnerd“-Blase so gern diskutiert wie der deutsche Spätburgunder. Irgendwer kommt laufend um die Ecke, um etwas zu beanstanden: zu sauer, zu süß, zu fett, zu dünn, zu holzlastig, die falsche Frucht – und überhaupt nicht wie im Burgund.
Doch sobald es um konkrete Argumente geht, wird es oft dünn. Was genau einem deutschen Spätburgunder im Vergleich zum Burgunder fehlt, bleibt meist vage. Wir haben den Vorteil, relativ unvoreingenommen an das Thema herangehen zu können – sei es, weil wir für die ganz großen Burgunder schlicht zu geizig sind, zu spät zum Thema Wein kamen, um günstig kaufen zu können oder bei einigen moderat bepreisten „echten“ Burgundern in der Vergangenheit keinen besonderen Mehrwert entdecken konnten.
Qualitätssprung in den letzten 15 Jahren
Was zur Ehrenrettung der Spätburgunder-Kritiker aber erwähnt werden muss: Seit wir uns intensiver mit Spätburgunder beschäftigen, hat sich die Qualität in bemerkenswerter Weise gesteigert – sowohl in der Spitze als auch in der Breite. Zudem kamen die Jahrgänge 2018, 2019, 2020 und jetzt 2022 den deutschen Rotweinwinzern klimatisch sehr entgegen. Was wir auf der VDP.Weinbörse aus dem Jahrgang 2022 verkosten konnten, war in vielen Fällen schlichtweg großartig.
Auffällig war dabei, was wir nur noch selten angetroffen haben:
- Fette, marmeladige, süßlich wirkende Weine. Die meisten Winzer haben inzwischen verstanden, dass ein rechtzeitiger Lesezeitpunkt entscheidend für die Eleganz des Spätburgunders ist.
- Übermäßig reduzierte, drahtige, unreife Weine: Einige Winzer – vor allem aus der jüngeren Generation – loten bewusst die Grenze zwischen Eleganz und Unreife aus, auf der VDP.Weinbörse war jedoch alles in Balance.
- Überholzte Weine: Wirklich aufdringliche Aromen von Vanille, Karamell, Rauch, Speck, Kaffee waren kaum präsent.
Tannine und Holz – ein Balanceakt
Der Ausbau im Holzfass, insbesondere im kleinen Barrique, bringt viel Sauerstoff in den Wein. Je kleiner das Fass, desto intensiver der Sauerstoffeintrag – was zu einer beschleunigten Oxidation führen würde, wenn der Wein nicht entsprechend vorbereitet ist.
Jeder, der einmal einen Rest eines Weins in der Flasche vergessen hat und nach mehreren Tagen nochmal probierte, kennt das Problem.
Ohne hochwertige weineigene Tannine kein Barriqueausbau
Um dem entgegenzuwirken, braucht ein Wein schon vor dem Barrique-Ausbau ein stabiles, hochwertiges Tanningerüst. Denn Tannine binden später Sauerstoff und schützen die Aromatik. Die Qualität dieser traubeneigenen Tannine hängen zum einen maßgeblich von der Traubenqualität ab – beeinflusst durch Reife und sicher auch Klonwahl (Beerenhautdicke, Größe der Beeren), aber auch von den Entscheidungen des Winzers rund um die Vergärung (Entrappung oder nicht, Wahl des Gebindes, Maischeführung, Umwälzen der Maische, Gärdauer und Gärtemperatur, Gesamtdauer der Maischestandzeit).
Bereits hier muss der Winzer eine Menge richtige Entscheidungen treffen, um nachher einen hervorragenden Wein zu bekommen.
Das Holz ist nur ein Faktor bei der Lagerung im Barrique
Der Ausbau im Holzfass verleiht dem Wein zunächst zusätzliche Tannine und damit auch den im gewissen Maße gewünschten Holzgeschmack. Im Verlauf der Lagerung aber polymerisieren Tannine durch den eingetragenen Sauerstoff untereinander und mit Farbstoffen (Anthocyanen aus den Beerenschalen), wodurch der Wein vor Oxidation geschützt wird. Gleichzeitig wird der Wein durch diese Prozesse auch weicher und verliert ein stückweit seine Adstringenz. Er „reift“ im Barrique. Dieser Prozess setzt sich auch in der Flasche fort und ist wissenschaftlich nur teilweise verstanden.
Der Winzer beeinflusst hier also nicht nur durch die Wahl des Holzes, sondern zum Beispiel auch durch die Dauer des Fasslagers und den Filtrationsgrad des Weins die Tannine. Mehr Feinhefe im Fass bindet ebenfalls Sauerstoff, verlangsamt aber ggf. das Reifen der Tannine, weil für diese Prozesse dann weniger Sauerstoff zur Verfügung steht. Die Belüftung des Weins dagegen fördert Polymerisation und macht damit die Tannine weicher, aber birgt die Gefahr der Oxidation des Weins.
Am Ende ist das Ganze ein sehr komplexer Prozess, bei dem die Wahl des Holzes nur eine Stellschraube ist. Vor 30 Jahren, als das Thema Barrique noch neu war, gab es sicher häufig eklatant falsche Entscheidungen bei der Wahl des Holzes. Heute ist davon auszugehen, dass nach wenigen Experimenten Fässer in entsprechender Qualität zur Verfügung stehen, um einen sehr guten Wein herzustellen, der keine übermäßige Rauch-, Vanille- und Kaffeebombe ist und nur holzaffinen Bibern schmeckt.
Die Bandbreite, wie das Tannin insbesondere beim jungen Wein auf den Trinker wirkt, resultiert aus meiner Sicht heute aus dem gesamten oben beschriebenen Prozess des Tanninmanagements. Hier eine optimale Balance zu finden ist sicher die größte Herausforderung und macht in vielen Fällen auch den Unterschied zwischen sehr guten und herausragenden Weinen.
Mehrere Wege führen zum hervorragenden Spätburgunder
Die einzig richtige Strategie gibt es dabei nicht. Für einen hervorragenden Wein muss das Ziel des Winzers nicht sein, möglichst Spätburgunder herzustellen, die auf einer Verkostung wie der VDP.Weinbörse zwei Jahre nach der Ernte unbedingt feinstes Tannin aufweisen. Zu wenig Tannin verkürzt ggf. auch die Lebensdauer eines Weins. Insofern gibt es zurecht auch eine gewisse Bandbreite und unterschiedliche Interpretationen. Zu grün, zu hart oder zu holzig darf die ganze Sache natürlich nicht werden.
Exkurs: Weißwein im Barrique
Da Weißweine in der Regel nicht auf der Maische vergoren werden, bringen sie von Natur aus deutlich weniger Tannine mit. Bei der Lagerung im Barrique übernehmen daher Hefe und das Aufrühren derselben (Bâtonnage) die Rolle des Sauerstoffbinders. Die Barriquelagerung muss kürzer angesetzt werden, es geht hier weniger um Tanninreifung, sondern vorrangig um die geschmackliche Prägung durch das Holz.
Lassen sich die Spätburgunder in Kategorien einordnen?
Letztes Jahr hatten wir uns durch die Chardonnays und Weißburgunder gegraben, um herauszufinden, ob es Regionstypizitäten und Wiedererkennbarkeiten gibt. Das Ergebnis zeigte eine bunte Welt zwischen Holz und Cremigkeit, Säure und kühlem Saft.
Die Rebsorte Spätburgunder zeigt aus unserer Sicht ein etwas geringeres aromatisches Spektrum.
Die Weine ließen sich im Rahmen der Verkostung ganz gut anhand ihrer inneren Kraft sortieren. Es gab:
- Eher elegante Weine mit einer feinen klaren Frucht, mit zurückhaltender Würze. Sie tänzeln etwas leichter auf der Zunge, die Tannine sind oft weniger hart.
- Eher kraftvolle Weine, die würziger angelegt sind und eine höhere innere Dichte haben. Das kann, muss aber nicht mit einer festen Tanninstruktur einhergehen.
- Und natürlich ausgeglichene Weine, bei denen sich das Frucht/Würze/Tannin-Verhältnis für uns in einer Waage befindet.
In allen Kategorien gibt es sehr gute und hervorragende Weine.
Eine zusätzliche Differenzierung ließ sich dann über den Fruchtausdruck vornehmen:
- Weine mit wärmerer, reiferer Frucht und weicher Anmutung (unten markiert mit einem w),
- Weine mit kühler, saftiger Frucht und frischer Spannung (unten markiert mit einem s).
- Weine die auch hier weder der einen noch der anderen Variante zuzuordnen sind. Diese haben wir ohne Markierung gelassen.
Der Gutswein – da ist es hier und da noch schwierig
Kein Jubel ohne Einschränkung: Alles vorher Gesagte gilt nur bedingt für das Thema Gutswein. Aus unserer Sicht sollte der Spätburgunder Gutswein eine Visitenkarte sein und Lust auf die höherwertigen Kategorien machen. Das funktioniert bei vielen guten Produzenten auch. Der Gutswein steht wie selbstverständlich am unteren Ende der Qualitätspyramide. Er hat dann eine ähnliche Machart wie die größeren Weine, ist manchmal etwas fruchtiger oder etwas rustikaler angelegt, aber man erkennt dennoch, dass er der kleinste Bruder der Spätburgunderweine des Weinguts ist. In diese Fall schmeckt die Kollektion häufig wie aus einem Guss.
Bei einer ganzen Reihe von Weingütern ist das jedoch anders. Da ist der Gutswein höchstens ein „adoptierter Bruder“. Frucht ohne Würze oder gleich unsaubere Frucht, Restzucker, Alkoholwucht. Die letzte Bastion der Spätburgundertradition der 60er bis 90er Jahre? Aber Schwamm drüber.
Ein paar besonders gute Gutsweine haben es in unsere Liste der Antrinktipps geschafft.
Antrinktipps
Auf der diesjährigen VDP.Weinbörse haben wir Spätburgunder aus Franken, Baden, Rheingau, Rheinhessen und von der Ahr verkostet.
Bei unseren Antrinktipps haben wir versucht, die sehr guten und herausragenenden Weine in die o.g. Kategorien einzusortieren. Die Weine, die uns jeweils am besten gefallen haben erkennt der Leser am ●.
Ahr
Insgesamt ist insbesondere 2022 an der Ahr ein herausragender Jahrgang. Ich weiß nicht, ob ich schon mal eine so hohe Quote bester Weine aus einem Ahrjahrgang probiert habe. Das ist insbesondere auch im Kontext mit dem Ahrhochwasser 2021 erstaunlich.
Viele gebrauchte Fässer dürften in 2022 noch nicht wieder zur Verfügung gestanden haben, dennoch würde ich den Weinen fast durchweg ein gutes Tanninmanagement bescheinigen.
Für uns die besten Kollektionen haben Meyer-Näkel (unheimlich saftig und elegant auch 2023, wir waren absolut begeistert) Jean Stodden und Kreuzberg abgeliefert.
Elegant
J.J. Adeneuer: 2022er Walporzheimer Alte Lay Spätburgunder GG (s, ●)
J.J. Adeneuer: 2022er Walporzheimer Gärkammer Spätburgunder GG (s, ●)
Kreuzberg: 2022er Spätburgunder Devonschiefer (s, ●)
Kreuzberg: 2022er Ahrweiler Silberberg Spätburgunder GG (s, ●)
Kreuzberg: 2022er Neuenahrer Sonnenberg Spätburgunder GG (s, ●)
Meyer-Näkel: 2023 Dernauer Spätburgunder Blauschiefer (Fassprobe, s, ●)
Meyer-Näkel: 2023 Ahrweiler Spätburgunder Grauwacke (Fassprobe, s, ●)
Meyer-Näkel: 2022er Neuenahrer Sonnenberg Spätburgunder GG (s, ●)
Jean Stodden: 2022er Recher Spätburgunder (s, ●)
Jean Stodden: 2022er Recher Herrenberg Frühburgunder GG (s, ●)
Jean Stodden: 2022er Recher Herrenberg Spätburgunder GG (s, ●)
Ausgeglichen
J.J. Adeneuer: 2022er Spätburgunder No.1 (s)
Burggarten: 2022er Walporzheimer Kräuterberg Spätburgunder GG (s)
Kreuzberg: 2023er Spätburgunder (Top-Gutswein, s, ●)
Jean Stodden: 2022 Spätburgunder JS (●)
Baden
Hier ist es schwer, eine Kollektion besonders herauszuheben. Die Flaggschiffe Huber und Keller hatten nicht viel Spätburgunder dabei. Daher setzen wir Bercher mit seiner 2020er Kollektion die verdiente Krone auf.
Elegant
Bernhard Huber: 2023er Malterdinger Spätburgunder (s, ●)
Bernhard Huber: 2023er Hecklinger Spätburgunder (s, ●)
Franz Keller: 2023er Achkarrener Spätburgunder (w)
Franz Keller: 2023er Oberrotweiler Spätburgunder (w)
Franz Keller: 2023er Oberbergener Bassgeige Spätburgunder 1G (w, ●)
Salwey: 2021er Oberrotweiler Kirchberg Spätburgunder GG (s, ●)
Ausgeglichen
Salwey: 2021er Oberrotweiler Spätburgunder (w)
Seeger: 2022er Leimener Herrenberg Spätburgunder „S“ 1G (s)
Seeger: 2022er Leimener Herrenberg Oberklamm Spätburgunder „RR“ GG (s, ●)
Kraftvoll
Bercher: 2020er Burkheimer Spätburgunder (s)
Bercher: 2020er Sasbacher Limburg Spätburgunder 1G (s, ●)
Bercher: 2020er Burkheimer Feuerberg Kesselberg Spätburgunder GG (s, ●)
Schlör: Reicholzheimer Oberer First Spätburgunder GG (w, holzbetont)
Franken
Der Platzhirsch ist hier der Kollektions-Sieger. Obwohl Fürst nur 3 Fassproben gezeigt hat. Die meisten seiner Kollegen hatten nur einzelne Spätburgunder dabei.
Elegant
Fürst: 2023er Bürgstadter Spätburgunder (Fassprobe,s, ●)
Fürst: 2023er Klingenberger Spätburgunder (Fassprobe,s, ●)
Fürst: 2023er Bürgstadter Berg Spätburgunder 1G (Fassprobe, s, ●)
Zehnthof Theo Luckert: 2022er Sulzfelder Sonnenberg Frühburgunder 1G (●)
Ausgeglichen
Fürstlich Castellsche Domäne: 2022er Casteller Reitsteig Spätburgunder 1G (w)
Zehnthof Theo Luckert: 2022er Sulzfelder Spätburgunder (s, ●)
Rudolf May: 2021er Retzbacher Benediktusberg Spätburgunder 1G (holzbetont, s)
Kraftvoll
Höfler: 2022er Michelbacher Steinberg Spätburgunder (w, holzbetont)
Staatlicher Hofkeller Würzburg: 2022er Großheubacher Bischofsberg Spätburgunder GG (w)
Rheinhessen
Wie im letzten Jahr auch ist J. Neus unser Favorit mit einer sehr schönen Kollektion, die gegenüber 2021 noch eine Schippe drauflegt.
Elegant
Knewitz: 2022er Spätburgunder (Top-Gutswein, s, ●)
Knewitz: 2022er Ingelheimer Spätburgunder (s)
J. Neus: 2022er Ingelheimer Frühburgunder (s)
J. Neus: 2022er Ingelheimer Spätburgunder Alte Reben (s, ●)
J. Neus: 2022er Ingelheimer Horn Spätburgunder GG (s, ●)
J. Neus: 2022er Ingelheimer Pares Spätburgunder GG (s, ●)
Ausgeglichen
Kühling-Gillot: 2022er Oppenheimer Kreuz Spätburgunder GG (s, ●)
J. Neus: 2022er Spätburgunder Muschelkalk (s)
Kraftvoll:
Bischel: 2022er Pinot Noir Réserve (holzbetont, s)
Gutzler: 2022er Westhofener Spätburgunder
Gutzler: 2022er Westhofener Höllenbrand Spätburgunder GG
Gutzler: 2022er Westhofener Morstein Spätburgunder GG (●)
Rheingau
Hier ist es uns nicht gelungen, eine favorisierte Kollektion festzustellen. Gerade in den Stufen Gutswein und Ortswein war die Qualität hier von den verkosteten Regionen am heterogensten, auch bei den Weingütern, die tolle Topweine am Start hatten.
Elegant
Künstler: 2020er Assmannshäuser Höllenberg Spätburgunder GG (w, ●)
Krone Assmannshausen: 2020er Assmannshäuser Höllenberg Spätburgunder GG (s, ●)
Ausgeglichen
Kaufmann: 2023er Pinot Noir +++
Kaufmann: 2022er Hattenheimer Hassel Pinot Noir GG (●)
August Kesseler: 2022er Pinot Noir „Alte Reben“ Cuvée Max (w, ●)
August Kesseler: 2022er Assmannshäuser Höllenberg Pinot Noir GG (w, ●)
Künstler: 2023er Hochheimer Stein Spätburgunder (w)
Kraftvoll
August Kesseler: 2023er Assmannshäuser Pinot Noir (w)
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[…] wir zu den verkosteten Weinen. Neben dem Schwerpunkt Spätburgunder (im zweiten Teil) haben wir uns dieses Jahr wieder die fränkischen Silvaner näher […]
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