Huch, schon wieder ein VDP Wein im Discounter. Diesmal ein Gutswein aus dem Rheingau, vom Weingut Leitz. Eine Nachricht, die sich anlässlich der Messe ProWein in den Weingruppen der sozialen Netzwerke schnell verbreitete, aber mindestens genauso schnell verhallte und durch die anscheinend noch spannendere Neuigkeit abgelöst wurde, dass ab sofort auch Günther Jauch mit zwei Weinen (Cuveé rot und weiß) zu je 5,99 EUR bei Aldi vertreten sei.
Die Wellen schlugen hoch. Von “gutes Projekt, fördert den deutschen Wein” über “Wein und Discounter passt nicht zusammen” bis hin zu “hat der Jauch es nötig mit so etwas Geld zu verdienen” waren die Reaktionen.
Viel Aufregung um nichts Neues
Die Konstruktion des Jauch-Projekts ist dabei eigentlich fast langweilig und nichts grundlegend Neues. Jauch und Andreas Barth, der Kellermeister seines VDP-Weinguts von Othegraven kreieren die Weine, sind für den Geschmack und die Qualität verantwortlich und lassen die Weine von der Großkellerei Mertes verarbeiten und abfüllen. Das erinnert sehr an die bereits länger bestehende Kooperation zwischen Raimund Prüm und Aldi, bei der seit einigen Jahren ein trockener Moselriesling verkauft wird.
In zwei Punkten unterscheiden sich die Projekte dann aber doch: Jauch verleiht dem Wein einen sehr prominenten Namen und die Qualitätsstufe gem. Weingesetz ist eine andere. Während der R. Prüm Wein als normaler Qualitätswein (QbA) verkauft wird, ist der Jauch Wein als “Deutscher Wein” gleich zwei Stufen niedriger und auf unterster Stufe angesiedelt.
Nüchtern betrachtet heißt “Deutscher Wein” erstmal nur, dass die verwendeten Weine nicht zu 100% aus demselben deutschen Anbaugebiet kommen müssen, daß der Winzer die größtmögliche Freiheit bei der Produktion hat und der Wein im Gegensatz zum Qualitätswein keine detaillierte sensorische Prüfung über sich ergehen lassen muss, bevor er in den Vertrieb geht. Am Ende könnte also quasi jeder Qualitäts-/ bzw. Prädikatswein als “Deutscher Wein” abgefüllt werden aber nicht jeder “Deutscher Wein” würde als Qualitätswein durchgehen.
Im WWW vergrößerte das natürlich die Verärgerung einiger vermeintlicher Kenner um ein Vielfaches, denn natürlich kann man hieraus auch zu dem Schluss kommen, dass Jauch unter Zuhilfenahme seines Namens versuchen könnte, billigste Ware zu fürstlichen Preisen zu verkaufen.
In den sozialen Netzwerken nahm schließlich auch Andreas Barth als verantwortlicher Fachmann zum Projekt und zu der Wahl der Qualitätsstufe Stellung. Die Wahl der Qualitätsstufe sei aus dem Grund erfolgt, für das Produkt einen möglichst großen Beschaffungspool zur Verfügung zu haben, um qualitative Schwankungen ohne größere kellertechnische Eingriffe abfedern zu können und um eben keine Konkurrenz zu regional orientierten Winzern mit QbA aufzubauen. Der Preis sei davon bestimmt, den Erzeugern eine faire und auskömmliche Marge zu ermöglichen.
Aus meiner Sicht ist das nachvollziehbar und bezüglich der notwendigen Mengen auch klug. So kann sicher auch eine größere geschmackliche Konstanz über mehrere Jahrgänge hinweg erreicht werden. Diese sollte wichtig sein, um im Discounter langfristig Bestand zu haben.
Und den nächsten Schritt des Konsumenten, nämlich einen regional geprägten Wein zu kaufen, überlässt er mit dem Produkt weiter eher dem Fachhandel.
Die Strategie des Weins aus dem Hause Leitz ist da aggressiver. Rheingau, VDP-Traubenadler, Produzent mit hervorragendem Ruf im Discounter, dauerhaft und mit 6,99 EUR nur wenig teurer!
Discounter und LEH: Die wichtigsten Absatzmärkte für Wein in Deutschland
Aber unabhängig von der konkreten Umsetzung: Ich finde es wichtig, dass Deutscher Wein in vernünftiger Qualität auch dort verkauft wird, wo in Deutschland das Gros des Weinhandels stattfindet. 77% des Weinkonsums der Deutschen wird durch Einkäufe im Lebensmitteleinzelhandel und bei Discountern gedeckt (1). Wer nicht dabei ist, lässt (die unteren) ¾ des Marktes unbearbeitet. Eigentlich unglaublich. Ein wesentlicher Hinderungsgrund ist sicher der niedrige Durchschnittspreis des deutschen Weins im LEH von 3,20 EUR / l (1), der dringend erhöht gehört. Umso mehr sind hier Jauch, R. Prüm, Leitz und andere wichtige Wegbereiter, sofern deren Produkte sich qualitativ weit genug von den üblichen 3,50 EUR Großkellereiweinen absetzen.
Doch was ist nun die richtige Strategie für die deutschen Winzer, die bisher im LEH und Discounter keine Rolle spielen? Discounter und LEH ignorieren? Sonderweine nach Prüm, Jauch oder Fritz Keller liefern? Das eigene Sortiment dort verkaufen?
Die höchste Eintrittshürde im LEH: Menge, viel Menge
Die Motivationslage und Bereitschaft der Winzer mit dem LEH zu verhandeln mag unterschiedlich sein, aber klar ist auch, dass ein Großteil der deutschen Weinbaubetriebe sowieso erstmal passen müsste, würde morgen der Einkäufer von Aldi oder Rewe auf dem Gutshof stehen. Ganz einfach, weil er gar nicht lieferfähig wäre.
Nehmen wir das Beispiel Leitz und stellen eine grobe, vielleicht etwas amateurhafte Rechnung auf. Aldi Süd gibt für 2017 1890 Filialen in Deutschland an. Der VDP schreibt in seinen Richtlinien für Guts- und Ortsweine einen maximalen Ertrag von 75hl/ha vor.
Unter der Annahme, Leitz würde jede Filiale mit 120 Flaschen p. a. beliefern (damit könnten 2 Rheingaufans pro Filiale jeweils 1x pro Woche eine Flasche in den Einkaufswagen legen und an Festtagen auch zwei Flaschen), ergäbe sich eine notwendige Anbaufläche von 22,7 ha.
Damit können das überhaupt nur ein Teil der 890 Betriebe in Deutschland leisten, die über 20ha bewirtschaften (1). Man darf dabei auch nicht vergessen, dass es genau ein Wein wahrscheinlich auch aus einer Rebsorte sein soll. Ganz zu schweigen davon, auch noch mehrere BigPlayer des LEH bedienen zu wollen.
Auch das Risiko ist sicher nicht unerheblich. Was passiert bei einem Frost- oder Hageljahrgang? Wenn die Erträge plötzlich nur noch halb so hoch sind? Den Endkunden oder den Fachhändler kann man mit guter Kundenbindung sicher vertrösten. Ob man bei Lidl nach 6 Monaten leerem Regal mit dem nächsten Jahrgang wieder ins Sortiment kommt, halte ich zumindest für fraglich.
Leitz hat für die Kooperation mit Aldi wohl kräftig erweitert. Während auf der Homepage des Weinguts noch von 43ha Rebfläche die Rede ist, wird in einem Artikel der Süddeutschen in diesem Monat von fast 100 ha gesprochen.
In der folgenden Tabelle habe ich noch einige Beispiele zusammengestellt, die zeigen sollen, dass ein breites und einheitliches Weinangebot qualitativ hochwertiger deutscher Weine in allen Filialen von Aldi, Lidl, Rewe oder Edeka ohne eine deutliche Beschleunigung der Konsolidierung auf der Erzeugerseite (die wird kommen) nur in wenigen Fällen oder bei Exklusivkooperationen möglich ist. Viele potentielle zusätzliche Einsteiger mit ausreichend Menge sehe ich jedenfalls eher nicht. Spannend auch der Connect zu der einmalig im Weihnachtsgeschäft bei Aldi Süd angebotenen 2016er Ockfener Bockstein Riesling Spätlese (VDP Große Lage) von S. A. Prüm.
Anzahl Fl. pro Filiale | Aldi Nord (4) | Aldi Süd (4) | Gesamt | Lidl (4) | Beide | |
---|---|---|---|---|---|---|
Anzahl Filialen | 2300 | 1890 | 4190 | 3184 | 7374 | |
Durchschnittsertrag Weinbau D (91hl/ha) (1) | 24 | 4,5 ha | 3,7 ha | 8,3 ha | 6,3 ha | 14,6 ha |
60 | 11,4 ha | 9,3 ha | 20,7 ha | 15,7 ha | 36,5 ha | |
120 | 22,7 ha | 18,7 ha | 41,4 ha | 31,5 ha | 72,9 ha | |
Guts-/Ortswein (max. 75 hl/ha) (3) | 24 | 5,5 ha | 4,5 ha | 10,1 ha | 7,6 ha | 17,7 ha |
60 | 13,8 ha | 11,3 ha | 25,1 ha | 19,1 ha | 44,2 ha | |
120 | 27,6 ha | 22,7 ha | 50,3 ha | 38,2 ha | 88,5 ha | |
Erste Lage (max. 60 hl/ha) (3) | 24 | 6,9 ha | 5,7 ha | 12,6 ha | 9,6 ha | 22,1 ha |
60 | 17,3 ha | 14,2 ha | 31,4 ha | 23,9 ha | 55,3 ha | |
120 | 34,5 ha | 28,4 ha | 62,9 ha | 47,8 ha | 110,6 ha | |
Große Lage (max. 50hl/ha) (3) | 24 | 8,3 ha | 6,8 ha | 15,1 ha | 11,5 ha | 26,5 ha |
60 | 20,7 ha | 17,0 ha | 37,7 ha | 28,7 ha | 66,4 ha | |
120 | 41,4 ha | 34,0 ha | 75,4 ha | 57,3 ha | 132,7 ha |
Zur Info: Rewe ca. 3300 Filialen, Edeka 7054 Filialen
Alternativen, um im LEH präsent zu sein
Was sind die Alternativen um in diesem Marktsegment dennoch teilzunehmen?
Mir fallen hier nur wenige ein:
Eine ist ganz klar der “Markenwein”, wie Jauch oder R. Prüm ihn anbieten. Die Rohware wird hier von verschiedenen Produzenten geliefert, damit ist der Einfluss des finalen Weinmachers auf den Traubenanbau selbst nicht sonderlich hoch. Über die Vertragsgestaltung, mit den Produzenten, den Preis und ggf. auch die Überwachung des Produktionsprozesses sollte hier aber sicher noch Qualitätspotential gegenüber den aktuell angebotenen Weinen der Großkellereien zu heben sein. Aktuell macht das Fritz Keller mit seiner “Edition Fritz Keller” und Aldi aus meiner Sicht am besten. Allerdings scheint er durch regionalen Anbau und regionale Abfüllung in einer genossenschaftlichen Kellerei auch am engsten am Produktionsprozess beteiligt. Aber nicht nur bei der notwendigen Anbaufläche, sondern auch in der Verarbeitung ist die notwendige Menge nicht zu unterschätzen. Der Winzer im Hintergrund wird spätestens beim Verschneiden der Lieferungen und Teilmengen an seine Grenzen stoßen, weil er kein passendes Gebinde für mehrere 10.000l im Keller stehen hat. Von der notwendigen schnellen Abfülltechnik und Lagerkapazität ganz zu schweigen. Daher wird der Winzer hier auch den Produktionsprozess selbst eher an eine Großkellerei auslagern müssen und Einfluss verlieren. Ein komplexes Unterfangen mit vielen Fallstricken also!
Die andere Alternative ist, Weine eben nicht bundesweit, sondern regional anzubieten. In den Edeka und Rewe Verbünden gibt es viele selbständige Kaufleute und entsprechend auch heute schon ein paar positive Beispiele von aufgepeppten Weinabteilungen bis hin zu Shop in Shop Konzepten. Auch regionale Formate wie Rewe Landmarkt können helfen (heute aber eher innerhalb und rund um die Weinbaugebiete). Bei Shop in Shop Konzepten und Aufbau eines Fachhandels sind die einzelnen Kaufleute gefragt, hier dürfte es schwer werden, Dinge zu verallgemeinern. Für regionale Kooperationen (auch mit Regionen im weinbaufreien Norden) könnten aber auch Winzer tätig werden – wahrscheinlich gerade außerhalb der eigenen Region aber nicht allein, sondern als Gemeinschaft, die konzeptionell etwas mehr mitbringt als ein paar Flaschen Wein (Vorbild Rewe Landmarkt), um es den Ketten einfacher zu machen. Ob die Discounter im engeren Sinn aber für so etwas bereit sind, ist zu bezweifeln.
Der Preis rettet den Weinberg
Aber egal wie: der Basispreis muss steigen. Ob 2,99 EUR pro Flasche im Discounter oder 3,50 EUR ab Hof: das sind keine nachhaltigen Preise, dass sehe ich schon als Verbraucher. So ist deutsche Weinkultur endlich. Für unsere Kulturlandschaft ist es irrelevant, ob ein GG für 30 oder 40 EUR verkauft werden kann, oder ob es für eine Hand voll Winzer einen echten Zweitmarkt mit exorbitanten Preisen gibt, sondern darum, ob auch kleine Direktvermarkter, Fassweinproduzenten und Genossen ein gutes Auskommen haben – hier kommt immer noch die Menge her. Und gerade auch im “kleinen” Direktvertrieb – ohne Marketingexperten und Alleinstellungsmerkmale ändern sich aus meiner Sicht die Zeiten rasant. In Straußwirtschaften ist das Publikum großteils 70+. Das Modell: “Ich fahre zu meinem kleinen Winzer und mache da 2x im Jahr den Kofferraum voll”, kenne ich noch gut aus der Altersgruppe meines Vaters. In meiner spielt das so gut wie keine Rolle mehr. Aufgeben (führt entweder zu brachliegenden Weinbergen oder zu mehr Konsoldierung) oder Möglichkeiten mit überschaubarer Komplexität zu finden, um den Absatz anzukurbeln sind künftig immer wieder die verbleibenden Optionen.
Und natürlich gilt die Empfehlung: Jemand, der deutschen Wein kennenlernen möchte, sollte in der aktuellen Situation nur in Ausnahmefällen beim Discounter kaufen und ist bei einem Fachhändler deutlich besser aufgehoben.
Und am Rande: das Abendland geht nicht unter, wenn ein VDP Gutswein bei Aldi steht – der Discounter und der LEH sind einfach dominierender Teil des Marktes. Ich kann verstehen, dass ein Winzer gern dabei wäre, sofern er die Möglichkeiten hierzu hat.
Und die Weine?
Der Günther Jauch Cuveé weiß 2017 und Cuveé rot 2017 sind solide Einstiegsweine, aber eben auch nicht nicht mehr. Daher gibt es hier auch keine Detaillierte Kostnotiz. Der weiße überrascht aber immerhin durch seine recht straffe Abstimmung mit wenig Restzucker. Da gibt es aus meiner Sicht nicht wirklich vergleichbares in diesem Discountersegment. Und der Rote ist erstaunlich schlank. Hier wurde nicht versucht, mit Restzucker Körper vorzutäuschen. Auch das hebt ihn ab von vielen anderen Einsteigern.
Aber spontan würde ich immer ins Regal nebenan greifen und den 2017er Rheingau Riesling trocken von Leitz mitnehmen. Kostnotiz hier.
PS: dieser Artikel ist aus der Sicht eines weininteressierten Laien entstanden, der Marktteilnehmer als Konsument ist. Ich freue mich daher immer über Feedback und ggf. Korrektur durch andere, professionellere Marktteilnehmer 🙂
(1) Quelle: Deutsches Weininstitut: Statistik Deutscher Wein 2017/2018
(2) Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/einzelhandel-die-deutschen-lieben-billigen-wein-1.3910906
(3) Quelle: Homepage des VDP
(4) Quelle: Informationen der Unternehmen (Internet) Stand 2016 oder 2017
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