20 Jahre Große Gewächse im VDP – aus einer erfolgreichen Vergangenheit in eine unsichere Zukunft?

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Blick von der großen Lage Centgrafenberg

Seit 2002 gibt es sie, die Großen Gewächse des deutschen Weins im Rahmen der VDP-Klassifikation. Der VDP nimmt daher die diesjährige Große Gewächse Vorpremiere in Wiesbaden zum Anlass und feiert 20 Jahre Große Gewächse gebührend.

Meine persönliche Weinreise mit deutschem Wein währt noch nicht so lang, als dass ich die Wichtigkeit der Einführung dieses „Produkts“ aus eigenen Erfahrungen nachvollziehen könnte. Dennoch ist die Gelegenheit gut, die Verdienste der Vergangenheit Revue passieren zu lassen und einen Ausblick in die rauhe Zukunft zu werfen.

 

Das tiefe Tal des Deutschen Weinbaus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Geht man an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, waren deutsche Weine auf allen Weinkarten der großen internationalen Hotels und Restaurants vorhanden und preislich den Konkurrenten aus Bordeaux und Burgund ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen.

Nach zwei Weltkriegen änderte sich das. Sicher zum Großteil durch zusammengebrochene Lieferketten und abgerissene Kundenbeziehungen. Auch nicht unwesentlich trug dazu bei, dass Teile des deutschen internationalen Weinhandels in der Hand jüdischer Mitbürger gewesen waren.

Zugleich war man aber im Inland durstig und wollte in den 50er und 60er Jahren das Wirtschaftswunder mit eher günstigen, süßen Weinen feiern. Die Weinbergsfläche in Rheinland-Pfalz zum Beispiel nahm in den 20 Jahren von 1950 bis 1970 um rund 60% zu. (in den folgenden 50 Jahren wuchs sie nur noch um rund 20%). Die Technisierung der Landwirtschaft hielt Einzug und es wurde geerntet was die Berge hergaben. In der Statistik des Landes Rheinland-Pfalz belegt der Jahrgang 1982 hier mit einem durchschnittlichen Hektarertrag von 182,1hl den unrühmlichen Spitzenplatz. Qualitätsweinbau sieht anders aus. Zum Vergleich, ab dem Jahr 2000 liegen 2007 und 2018 mit je etwa 108hl/ha vorn.

 

Das Weingesetz von 1971 war der Beginn des Übels

Das neue Weingesetz 1971 manifestierte die auf Mengen ausgerichteten Strukturen. Unter anderem durch die Reform der Lagenbezeichnungen. An berühmten Namen wollte jeder Winzer etwas partizipieren in der Hoffnung den Absatz zu steigern. So wurden in den Regionen viele Weinberge zusammengelegt und mit dem wertvollsten der alten Namen versehen. In Rheinland-Pfalz verschwanden 15.000 (75%) der Lagenbezeichnungen, in Hessen sogar 85%. Hinzu kamen die Großlagen, die alternativ zur Lage auf dem Etikett stehen durften. Seit dem konnte sich den Scharzberger jeder leisten, die Trauben dafür mussten nämlich nicht mehr am legendären Scharzhofberg wachsen, sondern durften irgendwo an der Saar reifen.

Natürlich war das kein böswilliges Gesetzesvorhaben. Es ging den Bürokraten und Verbänden darum, den Weinabsatz anzukurbeln. Die deutlich größer gewordenen Flächen und die höheren Erträge durch die Technisierung brachten mehr Wein hervor, der verkauft werden musste. Es ging darum, Wein unter einem „Markennamen“(Lagennamen) mit gleichem Geschmack und gleicher (mittlerer) Qualität vermarkten zu können. Außerdem sollte mit allzu phantasievollen Bezeichnungen und der Nutzung von Lagennamen bei miserabelster Qualität aufgeräumt werden, denn nur ein QbA durfte künftig einen Lagennamen tragen. Ich vermute, dass die Qualitäten, über die man damals gesprochen hat, heute gar nicht mehr existieren.

Das Weingesetz war dabei von Anfang an umstritten. Gerade diejenigen Winzer, die damals allen Egalisierungsbemühungen und Mengenverlockungen widerstanden, um aus den besten Lagen beste deutsche Weine zu machen, wussten genau, dass sie Verlierer der Reform waren. Denn künftig war die Brauneberger Juffer eben keine kleine Steillage von wenigen Hektar mehr, sondern eine über 30ha große Lage, wo jede Menge Winzer begütert waren.

 

Der Deutsche Qualitätsweinbau war Anfang der 90er Jahre quasi tot

Schließlich kamen Krisen hinzu. Allen voran der Weinskandal aus 1986, der aus Österreich herüber schwappte und den Deutschen ausgerechnet den geliebten süßen Wein madig machte. Aber auch die Witterung nahm die Winzer in den 70er und 80er Jahren in die Zange. Kalte Sommer, aber sicher auch zu hohe erwartete und teilweise erzielte Hektarerträge führten in den 1970er Jahren in Rheinland-Pfalz zu insgesamt 6 Jahren mit einem durchschnittlichen Mostgewicht von max. 70 Öchsle. In den 1980er Jahren waren es immerhin 5 Jahre. Seit 1990 gab es nur noch 1 Jahr mit exakt 70 Öchsle, alle anderen brachten höhere Durchschnittswerte hervor.

Anfang der 90er Jahre blieb da nicht viel übrig vom deutschen Wein. Ein paar renommierte Süßweinerzeuger mit stabilen Exportbeziehungen waren vielleicht zufrieden und ein paar Mengenerzeuger in hoch industrialisierter Landwirtschaft ebenfalls. Ansonsten stand es schlecht um die Weinbautradition in Deutschland.

Natürlich gab es hier und da auch früh das Streben nach Erneuerung. Durch bessere Ausbildung der nachkommenden Winzer und durch Kooperationen, wie zum Beispiel im Rahmen der H.A.D.E.S.-Gruppe wo seit 1986 sechs schwäbische Winzer mit Rotwein aus Barriquefässern experimentierten. Ein weiteres gutes Beispiel hierfür ist die Gruppe ‘Die Güter”, die unter der Führung von Michael Prinz zu Salm-Salm Anfang der 90er versuchte, einen nationalen Vertrieb für hochwertige trockene Weine aufzubauen. Dennoch brauchte der Deutsche Wein einige Zeit, um sich neu auszurichten.

 

Das Große Gewächs als Retter in der Not

Insofern ist die Proklamation eines Großen Gewächses durch den VDP als besten TROCKENEN Wein in 2002 ein Meilenstein, der gerade noch rechtzeitig kam. Damit ist klar die verbandsinterne Abkehr von Gleichmacherei und erneute Hinwendung zum Terroirprinzip verbunden: „Je kleiner die Herkunft, desto größer die Qualität“. Zusammen mit anspruchsvollen Ausbaukriterien und einer Qualitätsoffensive hatte der deutsche Wein damit eine neue Spitze. Eine Definition, die im In- und Ausland verstanden wurde.

Zwar sind am Ende die Macher für die enormen Qualitätssteigerungen und das „Weinwunder“ in Deutschland verantwortlich und keine Weinkategorie. Aber das Große Gewächs hatte sich definitiv zu einer starken Marke entwickelt und prägte einen neuen Stil, an der sich die mittlerweile zahlreich nachrückenden jungen, gut ausgebildeten Generationen von Winzern auch außerhalb des VDP orientieren konnten. Also lässt sich nicht leugnen, dass das Große Gewächs und dessen Strahlkraft eine wesentliche Rolle bei der Hinwendung zur Qualität und dem neuen Erfolg spielte.

Damit hat der VDP allen Grund das Jubiläum ausgiebig zu feiern. Ich stoße mit darauf an.

Der VDP hat einen schönen Jubiläumsfilm gedreht, den ihr hier auf Youtube finden könnt.

Wege zum Wein - Wein Genuss Kulturlandschaften
Auch eine große Lage: Der Schwarze Herrgott im Zellertal

Die Zukunft des Großen Gewächs ist nicht unbedingt rosig

Zwanzig Jahre sind nun seit der Einführung vergangen. Deutschland hat sein Weinwunder erlebt und die Qualität des Deutschen Weins ist in einer breiten Spitze über den VDP hinaus sicher so gut wie noch nie in der Geschichte. Große Gewächse sind in der internationalen Weinwelt anerkannt und werden teils hoch mit Preisen und Punkten dekoriert. Also alles perfekt im Weinland Deutschland?

Ich beantworte die Frage aktuell klar mit Nein. Das Große Gewächs als Marke und Garant für den besten deutschen Wein könnte seinen Zenit bereits überschritten haben.

Hierfür mache ich verschiedene Ursachen und Entwicklungen verantwortlich, die in den nächsten Jahren dem Großen Gewächs das Leben schwer machen werden. Ein Teil davon können vom Verband beeinflusst werden, ein Teil davon eher weniger.

 

Verbandsinterne Faktoren
Wie viel Qualität bietet ein Großes Gewächs?

Der Konsument der ein großes Gewächs kauft, möchte einen Wein der Spitzenklasse trinken, ein Aushängeschild für den deutschen Weinbau. Für mich beginnt die Spitzenklasse im Regelfall bei 90 Kritikerpunkten.

Doch nicht jedes Große Gewächs ist wirklich groß genug. Es gibt VDP-Mitglieder, bei denen die bekannten Kritiker in den allermeisten Jahren keine 90 oder mehr Punkte für das Große Gewächs vergeben.

Klar, jeder Winzer hat mal ein schwaches Jahr, aber am Ende muss man einem gewissen Teil der VDP-Winzer absprechen, dass sie wirklich in der Lage sind ein Großes Gewächs zu produzieren. Damit verwässern sie aus meiner Sicht die Marke Großes Gewächs und es wäre dringend geboten, hier gegenzusteuern. Möglichkeiten gäbe es einige, nach 20 Jahren gibt es aus meiner Sicht jedenfalls keinen Grund mehr für Schonfristen.

 

Wann haben wir hier endlich burgundische Preisverhältnisse?
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Der legendäre Scharzhofberg – hier kann der Winzer vom Burgund träumen

Eigentlich ist es ein blödes Thema bei einem nicht lebensnotwendigen Genussprodukt über Preise zu diskutieren. Aber es handelt sich hier um das Leuchtturmprodukt des deutschen Weins, insofern komme ich nicht umhin.

Winzer, die in den besten GG-Lagen des Landes begütert sind bekommen feuchte Träume bei den Preisen, die aktuell im Burgund aufgerufen werden. In einem Weinmarkt der von exorbitanter weltweiter Nachfrage bestimmt ist. Wo die Winzer ganz sicher aus jedem Grand Cru geeigneten Rebstock auch Grand Cru produzieren.

„Da müssen wir hin“, phantasieren sie im Halbschlaf.

Für mich bleibt das auf längere Zeit eine Phantasie, trotz aller Erfolge. Wir haben die internationale Nachfrage mit exorbitanten Subskriptionspreisen und gigantischen Zweitmarkt-Wertsteigerungen nicht. Maximal eine handvoll Produzenten können hier etwas laue Burgundluft schnuppern und sich über entsprechend hohe Preise freuen. Man sieht das auch daran, wie das jeweilige GG-Potential in den Weingütern ausgenutzt wird. Während manche Weingüter nur 2 Barriques Großes Gewächs produzieren, produzieren andere mehrere 1000 Liter pro Wein. Für den einen ist es dann letztendlich beinahe egal wie viele der 500 Flaschen er zu 50 EUR verkauft, für den anderen ist der Verkauf tausender Flaschen ein wesentlicher Umsatzbringer für das Weingut. Der eine hat eine geringe, der andere eine hoffentlich hohe Nachfrage nach seinen Großen Gewächsen. Flächendeckender Ausverkauf – koste es was es wolle – gibt es nicht und ist auch nicht in Sicht.

 

Sind die gestiegenen Preise für Große Gewächse gut für den Weinmarkt in Deutschland und bleibt deren Absatz dennoch stabil?

Abgesehen von der Traumwelt kommt seitens der Winzerschaft häufig das Argument, dass der deutsche Wein auch im Top-Segment zu billig sei. Sie argumentieren mit gelieferter Qualität und vergleichen mit anderen Anbaugebieten (da sind wir wieder in der Welt der Träume). Das Argument wird dann natürlich nicht mit Eigennutz begründet, sondern mit einer posititven Auswirkung auf den Gesamtmarkt. Wenn sich Preissteigerungen in der Spitze auf den Gesamtmarkt nun auswirken würden, wäre das Argument stichhaltig. Insgesamt zeigt sich das für mich aber höchstens marginal.

Fakt ist, dass sich der Preis für die Großen Gewächse von den Produktionskosten in den meisten Fällen abgekoppelt hat. Eine Flasche Wein kostet in der Herstellung keine 40 oder 60 EUR, egal mit wie viel Liebe und Aufwand der Winzer den Wein produziert. Im Internet finden sich hier Beispielrechnungen.

Auf den Weinmarkt insgesamt haben steigende Preise im Topsegment definitiv keinen Einfluss. Der Durchschnittspreis pro Pulle bliebt in D bei rund 3 EUR, egal wie viel ein GG kostet. Der Anteil ist einfach zu gering.

Im Segment der „normalen“ Qualitätswinzer außerhalb vom VDP gibt es sicher hier und da geringen Einfluss und etwas Entspannung im Preiskampf, aber auch hier haben sich die Preise bei deren Spitzenprodukten in der Regel nicht so nach oben entwickelt, wie das innerhalb des VDP bei den Großen Gewächsen der Fall war. Gemäß VDP startete man 2002 mit einem Durchschnittspreis von 16 EUR und liegt dieses Jahr bei 40 EUR, was einer Steigerung von 150% entspricht.

Es ist müßig darüber zu streiten, wie gerechtfertigt das ist, solange die Weingüter die Weine verkaufen. Aber Fakt ist, dass die Bruttolöhne in dem gleichen Zeitraum nur um 52% (die Nettolöhne geringer) stiegen, was definitiv bedeutet, dass sich der genussfreudige Durchschnitts-Deutsche aktuell deutlich weniger GG leisten kann als vor 20 Jahren. Hinzu kommen weitere aktuelle Unsicherheitsfaktoren wie Inflation und Krieg in Europa sowie das nach wie vor weintrinkerunfreundliche Klima in der deutschen Gastronomie, die auch bei GG häufig das 3 oder 3,5 fache des Fachhandelspreises verlangen und damit nicht gerade zur Absatzsteigerung beitragen, gerade bei steigenden GG-Preisen.

Auch ist durchaus zu beobachten, dass außerhalb der „Top30“ des VDP im Handel hier und da eine gewisse Jahrgangstiefe vorhanden ist. Für den Käufer gut, aber es deutet doch darauf hin, dass sich nicht jedes GG wie geschnitten Brot verkauft.

Ein weiterer Anhaltspunkt ist die teilweise extreme qualitative und preisliche Entwicklung in den Ortsweinen. Vielleicht wird heute sogar schon weniger GG produziert als früher und die Trauben werten die Ortsweine entsprechend auf. So lassen sich hohe Preise natürlich prestigeträchtig hoch halten, wobei der Umsatz dann doch woanders gemacht wird. 22 EUR für 90 Kritikerpunkte statt 50 EUR für 93 Punkte sind für den Konsumenten sicher ein Argument, sich mit Ortsweinen näher zu beschäftigen.

In der Breite außerhalb des Top-Clubs sehe ich daher das Ende der preislichen Fahnenstange erreicht. Auch wenn das Renommee des Deutschen Weins im Ausland sicher weiter zulegt, berichten mir die Winzer ja auch nicht unbedingt vom explodierenden Exportgeschäft. In Skandinavien, das immer wieder als positives Beispiel dient, kann jedenfalls nicht die gesamte GG-Ernte versoffen werden. Daher ist nicht nur das Preispotential sondern auch das Mengenpotential des Großen Gewächs aus meiner Sicht in der Breite ausgeschöpft, es gibt im Prinzip jetzt schon zu viel GG im Markt.

 

Was ist denn nun eine Große Lage und wie viele braucht das Land?

Seit einigen Jahren lebt der Verband den Grundsatz der VDP-Klassifikation „Ein trockener Wein pro Lage“ viel strenger und hat Ausnahmeregelungen einkassiert. Das ist zunächst einmal gut, denn Stringenz und Einfachheit sorgt für ein einheitliches Verständnis. Viele Winzer stellte das aber vor große Herausforderungen. Wer zum Beispiel nur eine Lage besitzt, darf auch nur einen Lagenwein pro klassifizierter Rebsorte – nämlich das GG – produzieren. Alle anderen Weine aus der Lage sind dann Guts- und Ortsweine.

Bekannte Beispiele sind der „Hochheimer Hölle Riesling Kabinett“ von Künstler oder der „Würzburger Stein Silvaner Erste Lage“ von den Spitälern in Würzburg. Am Beispiel der Spitäler ist klar, dass das Abstufen der Ersten Lage zum Ortswein, um das GG weiter produzieren zu können sehr weh täte. Die Spitäler besitzen schließlich einige Hektar im Stein und der „kleine Stein“ war natürlich höher bepreist als der Ortswein.

Nun läuft also ein Wettbewerb um mehr oder weniger sinnvolle Lösungen für dieses Dilemma.

Manche Winzer lassen Gewanne eintragen, die dann zur Großen Lage werden, der Rest der Lage bleibt dann die Erste Lage. Zum Beispiel: Ruppertsberger Reiterpfad (Erste Lage), Ruppertsberger Reiterpfad In der Hohl (Große Lage). Dagegen ist nichts einzuwenden, da in der Regel nur alte, historische Gewannbezeichnungen verwendet werden dürfen, was dem auch vom VDP propagierten traditionellen Charakter des Deutschen Weinbaus entspricht.

Aber hier schießt man gelegentlich trotzdem über das Ziel hinaus, wie man zum Beispiel im Badischen Winklerberg sehen kann, wo aus einem Weinberg plötzlich 7 wurden. 6x Große Lage und 1x Erste Lage. Ich würde mir das mal gern geologisch erläutern lassen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Boden und Kleinklimaverhältnisse in allen Parzellen so unterschiedlich sind, dass es sich wirklich um individuelle Lagen handelt.

Andere werden kreativer. Der Würzburger Stein wurde zur ersten Lage degradiert und ein Stein-Berg im Rahmen der EU-Gesetzgebung als geschützte Ursprungsbezeichnung (nicht als Weinbergslage) eingetragen. Die historische Herleitung in dem EU-Antrag ist äußerst abenteuerlich und aus meiner Sicht an den Haaren herbeigezogen (ausführlich habe ich hier darüber geschrieben).

Besonders praktisch: Da künftig alle Trauben die im neuen Stein-Berg wachsen auch im Stein gedeihen, können die Güter beliebig ausgewählen, ob das jeweilige Stein-Berg Fass nun in das GG fließt oder zum ersten Gewächs degradiert wird und mit Fässern aus dem “Nur-Stein” ergänzt wird. Viel besser, als das Fass im Ortswein verschwinden zu lassen.

Oder das Beispiel des Lump in Escherndorf. Hier wird seitens VDP ein patentrechtlich geschützter Markenname als Lagenbezeichnung für eine GG-Lage anerkannt, auch hier mit der Möglichkeit zur Abstufung (weitere Beispiele für lustige Lagenbezeichnungen und das gesamte Bezeichnungsdilemma findet ihr in diesem Post).

Alles aus wirtschaftlichen Gründen verständliche Maßnahmen, aber aus meiner Sicht für den Kunden schwierig zu verstehen. Insbesondere fehlt mir eine klare Stellungnahme seitens des VDP aus welchem Grund solche Abstufungen zwischen Lagen erlaubt sind oder geduldet werden. Denn schließlich werden dann doch aus der gleichen Parzelle Land zwei trockene Weine mit unterschiedlichen Bezeichnungen abgefüllt. Die Glaubwürdigkeit leidet aus meiner Sicht. Wieviel ist die „heilige“ Lage denn nun wirklich wert im VDP?

Und dann gibt es auch noch die Bernkasteler Badstube. Da ist eine (zwar kleine und ortsinterne) Großlage bestehend aus mehreren Einzellagen, die zur Großen Lage gemacht wurde. Und das obwohl der VDP sich im Rahmen der Weinpolitik klar gegen die weitere Verwendung von Großlagen positioniert hat.

 

Ist das GG immer der beste Wein?

Nach Qualitätspyramide des VDP sollte das so sein, es ist bei immer mehr Winzern aber nicht so. Der teuerste und begehrteste trockene deutsche Wein ist zwar einer eines VDP-Winzers, aber kein GG sondern ein VDP Gutswein. Der G-Max von Keller kommt aus besonders guten Parzellen von einem (oder mehreren?) Weinbergen und kann daher nicht als GG vermarktet werden, sondern läuft unter einem Phantasienamen als Gutswein. Das gilt auch z.B. für den neuen, extrem gehypten Monte Vacano von Weil.

Andere Beispiele, die die Klassifikation mit Füßen treten sind Dr. Loosens GG Reserve, also quasi Super GGs, aus Lagen aus denen es schon ein GG gibt.

Ebenfalls schwierig nachzuvollziehen sind die Weine aus Rebsorten, die der VDP nicht für GG-würdig hält, die Weingüter aber ggf. dann als Ortswein oder Gutswein für über 50 EUR auf den Markt bringen, weil sie sie doch für GGs halten. Bei Fürsts Chardonnay R zu aktuell 69 EUR ist das der Fall. Von Versteigerungs-Doppelungen zu regulären GG rede ich gar nicht.

Es herrscht also immer noch Chaos, als Durchschnitts-VDP-Winzer mit sauberem Portfolio würde ich diese Dinge nicht gutheißen.

 

Externe Einflüsse
Wie wird sich die neue Weingesetzgebung auf die alten VDP Großen Gewächse auswirken?

Der Begriff Großes Gewächs war nie geschützt, was bedeutet, dass auch jedes andere Weingut ein großes Gewächs abfüllen konnte. Zum Glück für den VDP taten dies bis Dato jedoch nur wenige Winzer und die Marke wurde so nicht verwässert. In der Neuauflage des Weingesetzes aus 2021 wurde der Begriff des Großen Gewächses nun festgeschrieben (hier und hier habe ich ausführlich über die Auswirkungen und Herausforderungen berichtet).

Zunächst gibt es für den VDP kein Handlungsbedarf, da es für bestehende Große Gewächs Definitionen einen Schutzstatus gibt.

In der Zukunft gibt es hier jedoch große Herausforderungen. Die Schutzgemeinschaften der Weinbauregionen sind vom Gesetzgeber aufgerufen, den Rahmen des GG für Ihre Region auszugestalten. In den Schutzgemeinschaften sind selbstverständlich auch andere Winzergruppen sowie Kellereien und Genossenschaften vertreten, die hier und da sicher andere Auffassungen davon haben, was ein Großes Gewächs ist und was nicht. Daher ist davon auszugehen, dass die Qualitätsmaßstäbe etwas lockerer gefasst werden, als das heute VDP-intern der Fall ist. Mal schauen, welche „Kartoffeläcker“ zu Großen Lagen werden.

Schon allein aus dem Grund, dass sich nun alle damit befassen, ist davon auszugehen, dass es künftig viel mehr Große Gewächse ohne VDP-Adler auf der Kapsel gibt. Zusammen mit den erwarteten schwierigen Verhandlungen ist eine Verwässerung der Marke quasi nicht zu vermeiden.

Ergänzend dazu ist der VDP aktuell zudem besonders stringent bei der Auswahl der Rebsorten für den GG-Status. Was, wenn es künftig Chardonnay GG, Sauvignon Blanc GG und vielleicht Portugieser GG gibt, weil sich die Schutzgemeinschaft nicht auf eine Einschränkung der Rebsorten einigen kann? Öffnet der VDP dann auch seine Regularien?

Die Verhandlungsposition des VDP ist aus meiner Sicht aufgrund seiner geringen Bedeutung im gesamten Markt schwach und wird insbesondere aufgrund der oben beschriebenen Unstimmigkeiten im eigenen System zusätzlich geschwächt. Ich rechne spätestens 2023 mit ersten Verhandlungsergebnissen in den Regionen. Am Ende halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass der VDP aufgrund der Verwässerung das GG irgendwann aufgeben wird. Einige Winzer sehen jedenfalls gerade ziemlich schwarz. Mal schauen, ob es dann stattdessen den 5 Adlerwein geben wird.

 

Wie hat sich die Konkurrenzsituation entwickelt?

„Die VDP-Mitgliedschaft ist die einzige Möglichkeit für einen Winzer für einen Wein mehr als 20 EUR zu verlangen“. Diese Aussage war für mich viele Jahre bis auf wenige Ausnahmen gültig.

Seit einiger Zeit gilt das so nicht mehr. Immer mehr (junge) Winzer haben in den letzten Jahren massiv an der Qualitätsschraube in ihren Weingütern gedreht und erreichen mit ihren Top-Weinen qualitativ zumindest ein durchschnittliches Großes Gewächs Niveau. Zugleich eröffneten sich über die modernen Medien neue Vertriebskanäle, die Bedeutung von Gault Millau und Eichelmann als Einkaufsratgeber und VDP als Qualitätsgarant hat abgenommen. Natürlich sind die Preise nach wie vor nicht so flexibel wie innerhalb des VDP, aber liegen immer häufiger jenseits der 20 EUR. Das scheint auszureichen, um nachhaltig hervorragende Weine zu produzieren und mit dem VDP in direkte Konkurrenz zu treten.

Als besonders krass empfand ich letztens den Blick in einen auf Naturwein spezialisierten Weinshop. Jede Menge Weine zwischen 20 und 50 EUR, teilweise darüber. Alle Weine gemacht von jungen, in der klassischen Szene wenig bekannten Winzern. Echtes GG-Preislevel, aber null GG-Stilistik. Das gab’s in Trocken bisher nie. Umsatz der aktuell für den VDP verloren ist, weil der VDP bisher keine verbandsinterne Naturweindefinition gefunden hat und innovative Mitglieder fehlen. Auch das Renommee bekommt so einen Knacks, denn der eine oder andere könnte sich angesichts der Preise und es Hypes schon fragen, wer da nun die wichtigsten und teuersten Weine im ganzen Land anbietet.

Doppelte Gefahr also, Relevanz und Geld zu verlieren und ein dringender Handlungsbedarf der über die Aufnahme des Weinguts Odinstal in den Verband hinaus gehen muss.

 

Was bleibt?

Es wird ungemütlicher werden fürs Große Gewächs. Der Verband darf nicht müde werden, darüber zu sprechen, wie die Herausforderungen der Zukunft gemeistert werden sollen. Ganz so verkrustet wie man vielleicht hier und da vermuten kann ist der Verband aber definitiv nicht. Aktuell arbeitet der Verband intensiv am Thema Nachhaltigkeit. Bis 2025 wollen sich alle VDP Weingüter als nachhaltig zertifizieren lassen und eine neue leichte Flasche soll die Ökobilanz insbesondere der Gutsweine verbessern. Es tut sich also etwas und es besteht schon Hoffnung auf weitere 20 Jahre Großes Gewächs.

 

Quelle der Zahlen zum Rheinland-Pfälzischen Weinbau: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz

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