Der gemischte Satz, bei dem im gleichen Weinberg verschiedene Rebsorten gepflanzt, gemeinsam geerntet und verarbeitet wurden, ist in den vergangenen Jahrhunderten deutlich häufiger anzutreffen gewesen, als der reinsortige Wein. Es ist sogar davon auszugehen, dass das die verbreitetste Anbaumethode in Europa war. Das hatte insbesondere den Grund, dass so die Wahrscheinlichkeit gesteigert werden konnte, überhaupt einen passablen Wein zu ernten. Die Winzer konnten davon ausgehen, dass nur ein Teil der Trauben von Schädlingen getroffen oder ggf. nicht ganz reif geworden war, aber sich insgesamt immer noch ein ordentlicher Wein ernten ließ. Großflächig wurde das Konzept „Gemischter Satz“ erst nach der Reblauskatastrophe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den reinsortigen Anbau und eine ggf. erst nachträgliche Cuveetierung abgelöst.
Eine größere Bedeutung hat das Thema gemischter Satz in Europa eigentlich nur noch in Wien. So haben sich die Wiener auch den traditionellen Begriff „Gemischter Satz“ europaweit schützen lassen, so dass Weine außerhalb von Wien nicht so genannt werden dürfen.
Wir haben es hier also mit einem „Alten fränkischen Satz“ zu tun, der hier nicht nur einer Tradition nachempfunden wurde, sondern ein echtes Unikat und Teil der deutschen Weinbautradition ist.
Weiße gemischte Sätze gibt es einige in Deutschland, darunter auch eine kleine Anzahl alter Weinberge, die Anfang des 20. Jahrhunderts noch in alter Tradition angelegt wurden.
Bei dem Wein von Anja Stritzinger handelt es sich aber um einen roten gemischten Satz. Abgesehen von Wolfgang Kühns Altrod im gleichen Weinberg sind mir sonst keine historischen roten Mischsätze in Deutschland bekannt.
Die kleine Parzelle wurde etwa 1910 in den steilen, heute denkmalgeschützten Terrassen des Klingenberger Schlossbergs angelegt und war bereits verwildert, als er 2007 von der Weingästeführerin Gabriele Stahl-Euteneuer erworben wurde.
Ihr und Winzerin Anja Stritzinger ist es also zu verdanken, dass der Weinberg wieder kultiviert wurde. Der Weinberg sollte Museumsweinberg werden, der nicht nur das Thema „Alter Fränkischer Satz“ für die Nachwelt bewahrt, sondern auch alte Rebsorten zeigen und bei deren Erhalt helfen sollte. Dazu wurde der Weinberg mit entsprechender fachlicher Beratung um weitere historische Rebsorten ergänzt. Somit besteht der Wein aus über 20 Rebsorten!
Vorgefunden wurden:
Rote Sorten:
- Portugieser (ersterwähnt 1828 in der Thermenregion Österreich)
- Spätburgunder (in Deutschland erstmals 884 erwähnt, seit 1470 Anbau belegt, Abstammung und Herkunft unklar)
- Roter Franke (wohl identisch mit der Sorte Persan, die vereinzelt noch in den Savoyen angebaut wird)
- Blauer Urban (in Italien Schiava Gentile/Mittervernatsch/Kleinvernatsch, damit eng mit Vernatsch/Trollinger verwandt)
- Tauberschwarz (kam vermutlich aus Osteuropa nach Franken, genaue Herkunft und Abstammung unklar, wurde 1559 von Graf Hohenlohe zum Tauberschwarz benannt)
- Cabernet Sauvignon (Herkunft unklar)
- St. Laurent (Abstammung unklar, seit 1860 in Österreich erwähnt)
- Blauer Kölner (ungarisch Kökeny = Schlehenblau, vermutlich seit mehreren tausend Jahren im Anbau, „Steirische Urrebe“, Abstammung unklar)
- Schwarzer Trollinger (Spielart des bekannteren blauen Trollingers/Vernatsch/ Schiava)
Weiße Sorten:
- Traminer (ebenfalls eine Rebsorte mit langer Geschichte, Herkunft und Abstammung unklar)
- Muskateller (vermutlich schon ab 3000 v.Chr. in Ägypten und Iran angebaut, eine der ältesten bekannten Rebsorten)
- Ortlieber (identisch mit Knipperlé (Elsass), Herkunft vermutlich Frankreich)
- Roter Gutedel (Mutation des weißen Gutedels, Herkunft und Abstammung unklar)
- Bukettrebe (erstmals erwähnt 1864 und gezüchtet in Randersacker aus Grünem Silvaner und blauem Trollinger)
- Alter Silvaner
- Roter Elbling (Mutation vom weißen Elbling, erwähnt 13 Jahrhundert, Abstammung teilweise unklar)
- Weißer Honigler (eng verwandt mit rotem Veltliner, Abstammung aber noch unklar, früher als „Mezes Feher“ in Ungarn weit verbreitet, heute noch einzelne Weinberge in Ungarn, Österreich und Balkan)
Nachgepflanzte Sorten:
- Hartblau (Herkunft vermutlich Südwestufer des Kaspischen Meeres, dort seit der Bronzezeit, vermutlich eine der ältesten Rebsorten der Welt und vermutlich älteste Rotweinsorte in Deutschland)
- Süßschwarz (Urform des Blauen Silvaners, über die Karpaten im Mittelalter bis nach Franken gekommen, Elternteil von Tauberschwarz, Affenthaler, Möhrchen, Süßblau, Grüner Lagler, Gelbhölzer und Schwester des Spätburgunders – wichtige Sorte um die Abstammung vieler heutiger Sorten zu erklären)
- Blauer Hängling (Herkunft und Abstammung unklar)
- Blauer Arbst (Auch als Morillon oder Möhrchen bekannt. War mal rote Hauptrebsorte der Steiermark und Bestandteil der mal berühmten Affenthaler Weine (bei Bühl) und Kallstadter Möhrchen. Früher als besser als der Spätburgunder angesehen.)
- Schwarzurban (Abstammung teilweise unklar)
- Schwarzblauer Affenthaler (Namensherkunft vom ungarischen Ort Apátfalva (Abtsdorf) bei Szeged. Bestandteil des berühmten Affenthalers, Herkunft vermutlich aus Transsylvanien, wilde Kreuzung zwischen Süßschwarz und Heunisch)
- Schlehentraube (Stammt aus Tokaj und war dort Hauptsorte der Rotweinproduktion. Vermutlich seit 1000 vor Christus auch in Deutschland und Elsass heimisch, Abstammung unklar)
- Blaufränkisch
Die kurzen Erläuterungen zu den Sorten sind im Wesentlichen der Homepage https://historische-rebsorten.de/ von Ulrich Martin und Andreas Jung entnommen. Andreas Jung ist sicher einer der wichtigsten Forscher und Ulrich Martin der wichtigste Vermehrer auf dem Gebiet historischer Rebsorten in Deutschland. Insgesamt aber scheint es nicht viel organisierte Forschung über diese Thematik zu geben. Zumal diese Forschung europaweit vernetzt werden müsste, schließlich werden schon seit mehreren tausend Jahren Reben über verschiedene Handelswege in Europa verbreitet.
Zu gewinnen wären zum Beispiel Erkenntnissen über die Abstammung heutiger Rebsorten. Bei vielen bleibt der Stammbaum und damit auch oft die tatsächliche Herkunft im Dunkeln. Spätburgunder oder Sangiovese sind nur zwei prominente Beispiele. Zudem könnten alte Rebsorten auch helfen, Herausforderungen der heutigen Zeit zu lösen. Zum Beispiel indem man schaut, welche Rebsorten während der mittelalterlichen Warmzeit zwischen den Jahren 800 und 1000 angebaut wurden und dann witterungsbedingt wieder zurückgedrängt wurden. Gegebenenfalls könnten diese Sorten auch ein Teil der Antworten zum Klimawandel sein.
Zurück zum Wein:
Nach der gemeinsamen Ernte aller Sorten, durchläuft der Wein eine klassische Maischegärung und reift im gebrauchten Barrique.
Tiefwürzige, fast ätherische Nase mit schwarzen Johannisbeeren und Himbeeren, Kakao, schwarzer Pfeffer, sehr schönen floralen Noten und geröstetes Holz.
Im Mund dicht mit ganz weichem Tannin, saftige Frucht mit roten Beeren und Sauerkirsche, etwas dunkle Schokolade. Tiefe dunkle Würze und wieder deutlich florale Noten. Etwas antrocknend am Gaumen. Recht langer Abgang, die schönen floralen Noten bleiben.
Ein wunderbares Stück Geschichte. Der Wein hat keine Schwere, einen schönen Trinkfluss und ist dennoch komplex und fein.
Aktuell ist noch Jahrgang 2020 im Verkauf. Diesen hatte ich ebenfalls vor ein paar Wochen zusammen mit Weinfreunden verkostet. Die Rückmeldungen waren allesamt ebenfalls positiv. Wer noch eine der wenigen Flaschen ergattern kann, sollte sie aber auf jeden Fall einige Jahre im Keller vergessen, oder der Flasche jetzt ziemlich viel Luft gönnen, damit er etwas seiner jugendlichen Wildheit ablegen kann.
Ca. 23,90 EUR / PGV günstig
Marcel
[sorry für die Korrektur] ..bzw der Weinberg liegt nicht in Königsberg, sondern wahrscheinlich in Steinbach, aber auch da bin ich mir nicht sicher.